Pflanze und Gespenst
Zu den Zeichnungen von Harald Gmeiner
von
Monika Helfer
Sehe ich mir die Bilder von Harald Gmeiner an, ist es, als ginge ich mit geschlossenen Augen einen mir unbekannten Weg. Die Gerüche sind mir vertraut, Wald, Moos, Farnkraut, wilde Pflanzen. Ungezähmte Natur.
Die Köpfe, die Gesichter, spiegeln die Atmosphäre der Fremdheit.
Die Gewissheit, sich selbst zu haben und damit Kunst zu veräußern, ist das Höchste, was ich mir vorstellen kann.
Die Figuren des Künstlers tanzen über dem Abgrund. Wir wissen nicht, was geschehen ist. Weiß es der Künstler? Das Schöne ohne das Schreckliche kann er nicht zeichnen. Alle Engel sind schrecklich, das wissen wir, seit es uns Rainer Maria Rilke gestanden hat.
Die Kunst hat das Schreckliche niemals ausgelassen. Sie hat sich um das Schreckliche gekümmert. Der Skandal, den die Kunst dabei aufgedeckt hat, ist doch, dass Schönes und Schreckliches Geschwister sind. Die Station in der Göttlichen Komödie von Dante Alighieri, die uns am meisten fasziniert und seit Erscheinen dieses langen Gedichtes die Menschen am meisten in Bann gezogen hat, ist zweifellos das Inferno. Dass wir Grausamkeiten schön finden, dafür schämen wir uns. Die Kunst ist die Möglichkeit, dafür Buße zu tun.
Die Kunst macht alles gut.
Alles wird gut durch die Kunst.
Darum sind die Künstler glückliche Leute.
Auch wenn sie bisweilen von Zweifel und Depressionen geplagt werden, sind sie glücklich. Das wissen die anderen. Darum verehrt man die Künstler, aber als Schwiegersohn möchte man eigentlich keinen haben.
Was wir in und für uns selbst sind - ein Zitat von Schopenhauer - fällt mir ein, wenn ich an die Art des Zeichnens und Malens von Harald Gmeiner denke, eine Konzentration auf das Selbst, ein Inneres, das sich nach Außen verkehrt und vielleicht in eben dieser Bewegung verkehrt.
Insofern ist alle Kunst verkehrt.
Der Künstler zeichnet. Dem Körper seinen Schatten. Die Geister höherer Art begleiten ihn. Kleine schwache und schiefe Köpfe, die einmal waren, was sie wieder sind, vergessene Geschöpfe, verkohlte Gesichter, Arme wie Draht.
Der Künstler führt uns durch das Inferno.
Und erführt uns aus dem Inferno heraus.
Nach der Kunst darf man sagen: Es war ein Traum.
Man soll nicht sagen: Es war NUR ein Traum. Ein Traum ist nie NUR. Jeder Künstler weiß das.
Trotz allem Leid, aller Missgunst haben Künstler, Musiker, Dichter und Schriftsteller ein gemeinsames Geheimnis. Und auch wenn wir dieses Geheimnis verraten, es weiß doch niemand Bescheid. Auch wir selbst nicht.
Trauen Sie den Künstlern nicht! Trauen Sie ihnen nicht über den weg!
Das Unklare, das Verworrene, das Hirnlose, das Lebendige, das Sterbliche, all dies in Zeichnungen gefasst, die mich verkehren.
Weiß der Künstler, was er bewirkt, weiß er, was fortlebt in dem Seher, der er ist, von dem der sechzehnjährige Arthur Rimbaud schreibt?
Der Künstler lässt es geschehen. Schaut auf das angefangene Blatt und denkt, ist es fertig.
Soll es weiterleben ohne mich?
Also spazieren wir durch das Labyrinth des Harald Gmeiner und lassen unseren Gedanken ihre Freiheit. Wie in einem Spiegel sehen wir, was sein könnte, wohin sich die Verwandlung dehnt.
Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse.
Bei einem dunklen Bild beugt sich der Tod über mich.